Der Weg zur menschlichen Erkenntnis ist von spielerischer Natur. Der Forscher experimentiert und entdeckt neue Wege oder Phänomene oft durch Zufall, durch das Zulassen einer unkontrollierbaren Komponente, wie der Koch durch eine vorher unbekannte Kombination von Zutaten ein neues Aroma entdeckt, beides ist der Mut sich einem geplanten Kontrollverlust auszusetzen. Ein gutes Spiel beinhaltet immer diese Komponente des Unbekannten und Ungewissen, ob in Form des Würfels oder eines Labyrinths dessen Ausgang man nicht sieht.

Auf Pokémon GO wurde ich aufmerksam als ich im Internet einen Artikel über eine Applikation für Smartphones lass, die angeblich eine wahre Explosion der Nutzerzahlen erlebt, und in ihrem augenblicklichen Einfluss wohl mehr als nur einen modischen Trend darstellt, weil sie das Verhalten der Menschen auf ungeahnte Weise beeinflusse.

 

Was passiert in diesem Spiel?
Pokémon

Pokémon im Berliner Stadtraum

In Pokémon GO wird man zunächst aufgefordert ein Profil anzulegen und einen Avatar auszuwählen. Man findet sich im Anschluss als menschliche Figur auf einer Landkarte, die offenbar den realen Ort an dem man sich befindet widerspiegelt. Die App benutzt GPS Daten und die Kamera des Smartphones. Auf der Karte nimmt man andere Objekte wahr, und plötzlich auch eine Art Lebewesen, eines dieser Pokémons. Diese im Manga-Stil gestalteten Tierchen sind süß und bunt und mit dem ganzen Glitzer der sie umgibt ein Klischee des asiatischen digitalen Pop.

Nähert man sich (mit den eigenen Füßen) dem Tierchen, wechselt das Spiel in eine Augmented-Reality-Perspektive, das heißt das Bild das die Kamera von der Umgebung macht wird in Echtzeit durch Animationen und Bedienelemente des Spiels überlagert. Auf dem Bildschirm des Smartphones sitzt also plötzlich das Pokémon in der eigenen Küche, oder wo auch immer man sich gerade befindet. Mit einem virtuellen Ball kann man nun das Pokémon bewerfen und einfangen. Es kommt in eine offenbar sehr umfangreich erweiterbare Sammlung. Auf der Karte gibt es außerdem Orte die man ansteuern kann. In meiner Nachbarschaft wird auf eine ›hässliche Brandwand‹ hingewiesen. In der Innenstadt sah ich eine Markierung zum Georg Elser Denkmal (Berlin), und es scheint sehr viele Orte auf der Karte zu geben.

 

Eine Priese Zukunft und Avantgarde

›Interessanter als das grafisch eher bescheidene Spiel sind die Kommentare zu kulturellen-, und gesellschaftlichen Auswirkungen.‹

In den Vereinigten Staaten wird das Geschehen gar als disruptiv bezeichnet, entstehen doch durch das Medium neue Themen jenseits von sozialen und ethnischen Problemen.
In Russland hingegen werden traditionell mystische und esoterische Dimensionen diskutiert. Ein Vertreter der orthodoxen Kirche soll öffentlich ein Verbot der ›kleinen Teufel‹ auf Friedhöfen und in Kirchen gefordert haben. Sicherlich möchte niemand das eine Gedenkstätte zum sogenannten ›PokéStop‹ wird, zu einer Pilgerstätte für Spieler, doch hier schwingt die selbstverständliche Akzeptanz von  virtuellen, für nicht Eingeweihte unsichtbaren Wesen mit.

Es ist dieser Moment, in dem sich die mit diesem Trend verbundenen Pfade in die Zukunft zu erkennen geben. Die Erweiterung der Realität durch eine virtuelle Ebene wird zur Causa, eine Metaebene wird zum Impulsgeber der Kommunikation. Die Pokémons werden zu transzendenten Wesen, sie überschreiten also die Grenzen zwischen den Welten.

 

Body as Interface
PokéStop

PokéStop in Berlin

Dringend muss der physische Aspekt dieses interaktiven Spiels erwähnt werden. Der Spieler ist schließlich gezwungen sich selbst zu bewegen und die Umgebung zu erforschen um Tiere und Objekte zu entdecken. Der einst an eine Rechenmaschine gebundene Nutzer digitaler Spiele ist mobil und steuert das Geschehen teilweise durch Einsatz seines ganzen Körpers. Die materielle Gestalt eines Spielers wird durch die Interaktion nicht nur bewegt, sondern mitunter auch in erhebliche Gefahr gebracht. Schon wird von Unfällen unachtsamer Pokémonjäger berichtet. Zweifelsohne wird die Fähigkeit zwischen virtueller und realer Bedrohung zu unterscheiden im Kontext der Augmented-Reality noch in neuem Licht zu diskutieren sein.

 

 

 

 

 

 

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Über den Autor

Justus Wunschik
Freier Art Director / Designer – Schwerpunkt digitale Medien
Diplom in Media Art & Design – Bauhaus-Universität Weimar

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